
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass der hohe Beweiswert einer ärztlichen Krankschreibung infrage gestellt werden kann, wenn diese direkt nach einer Kündigung erfolgt. Besonders kritisch wird es, wenn die Krankschreibung genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses datiert ist. Rechtsanwalt Michael Fuhlrott hat die Entscheidung des BAG ausführlich analysiert und erklärt, welche Konsequenzen sich daraus für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ergeben.
Arbeitnehmer, die krankgeschrieben sind, erhalten weiterhin ihren Lohn, und zwar bis zu sechs Wochen lang vom Arbeitgeber, bevor die Krankenkasse Krankengeld zahlt. Diese Regelung ist im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) verankert. Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit erfolgt durch eine ärztliche Bescheinigung, die allgemein als „gelber Schein“ bekannt ist. Diese Krankschreibung hat in der Regel einen hohen Beweiswert, der jedoch angezweifelt werden kann, wenn bestimmte Umstände vorliegen. Ein solcher Umstand könnte sein, dass die Krankschreibung direkt nach einer Kündigung erfolgt oder exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses reicht.
Im vorliegenden Fall hatte ein Zeitarbeiter, der seit März 2021 bei einem Unternehmen beschäftigt war, im Mai 2022 eine Krankschreibung eingereicht, die seine Arbeitsunfähigkeit bis zum 6. Mai 2022 aufgrund einer Atemwegsinfektion attestierte. Kurz nach Erhalt dieser Krankschreibung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Der Arbeitnehmer reichte daraufhin zwei weitere Krankschreibungen ein, die ihn bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig meldeten. Da der Arbeitnehmer direkt nach Ende des alten Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle antreten wollte, verweigerte der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung und argumentierte, der Beweiswert der Krankschreibung sei erschüttert.
Obwohl der Arbeitnehmer in den ersten beiden Instanzen erfolgreich war, hob das BAG diese Urteile auf. Das Gericht stellte klar, dass die genauen Umstände des Einzelfalls sorgfältig geprüft werden müssen. Besonders wichtig sei, ob die Krankschreibung zeitlich genau mit der Kündigung oder dem Ende des Arbeitsverhältnisses übereinstimmt und ob eine neue Anstellung direkt im Anschluss geplant ist. Das BAG führt damit eine Rechtsprechung fort, die bereits 2021 begonnen wurde. Damals entschied das Gericht, dass der Beweiswert einer Krankschreibung dann erschüttert sein kann, wenn sie genau mit der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses zusammenfällt.
Dieses Urteil des BAG unterstreicht, dass die Umstände im Einzelfall entscheidend sind, um den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung zu bewerten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kündigung vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ausgesprochen wurde. Entscheidend ist vielmehr, ob die Krankschreibung zeitlich mit der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses zusammenhängt.
Falls der Beweiswert der Krankschreibung erschüttert ist, muss der Arbeitnehmer nun nachweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Dies kann durch ärztliche Befunde oder Zeugenaussagen des Arztes geschehen. Das Urteil bedeutet nicht, dass der Schutz von Arbeitnehmern eingeschränkt wird, aber es könnte dazu führen, dass Arbeitgeber in Zukunft genauer auf Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen achten.
Für Arbeitnehmer ist es wichtig, sich der Konsequenzen einer Krankschreibung im Zusammenhang mit einer Kündigung bewusst zu sein, um ihre Rechte im Krankheitsfall zu wahren. Arbeitgeber sollten hingegen die neue Rechtsprechung des BAG berücksichtigen, um fundierte Entscheidungen bei der Lohnfortzahlung zu treffen.